Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 186 · Juli/August 2008
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150 Jahre Michelsenschule

Am ersten Mai 1858 eröffnete der Theologe und Gymnasiallehrer Dr. Konrad Michelsen in seinem neu erworbenen Landhaus vor dem Dammtor (in der heutigen Michelsenstraße) mit fünf Schülern eine private „Theoretische Ackerbauschule“. 1804 geboren und seit 1837 als Lehrer im nördlichen Schleswig-­Holstein tätig, war er nach Verlassen seiner Heimat 1852 bis 1854 Direktor des Lehrerseminars in Alfeld. Mit einer eigenen Schulgründung in Hildesheim verfolgte er den Zweck, „den aus der Allgemeinen Land- und Stadtschule entlassenen Knaben diejenige Ausbildung mitzuteilen, welche ihnen vor Eintritt in die geregelte praktische landwirtschaftliche Ausbildung notwendig und zu wünschen ist, insoweit die Allgemeine Schule als solche ihnen dieselbe während der Schulzeit nicht habe gewähren können“.

Foto: Sabine Brand
Gelungene Verbindung von Tradition und modernen Standards – die Michelsenschule feiert ihren 150sten Geburtstag
Foto: Sabine Brand

Schnell wuchs der Schulbesuch auf 20 Teilnehmer, als bereits 1862 Dr. Konrad Michelsen starb. Die erfolgreiche Gründung wurde nun von seinem Sohn Eduard – einem studierten Juristen – in den folgenden 30 Jahren kontinuierlich fortgesetzt und ausgebaut: 200 bis 400 Absolventen besuchten die nunmehr zwei dreistufigen Schulabteilungen – eine mehr allgemeinbildende „Landwirtschafts-“ und eine mehr praxisbezogene „Ackerbau-­Schule“. In beiden wurde ab 1874 mit einer erfolgreichen Abschlussprüfung die „Berechtigung zum Einjährigen (militärischen) Freiwilligendienst“ bzw. der spätere Realschulabschluss erworben.

Das große Interesse, das diese Lehranstalt nicht nur für eine – während des Schulbesuches bei Gasteltern „in Pension“ lebende – Landjugend und darüber hinaus genoss, veranlasste die Stadt Hildesheim, der Schule 1878 das noch heute genutzte Grundstück an der Schützenwiese und das Kernstück des jetzt alten Schulgebäudes zu schenken. Die weiterhin stetig wachsende Schülerzahl (1916: 400 Schüler, 1921: 700 Schüler) erforderte bereits 1897 und 1913 An- und Umbauten. Träger dieser bedeutenden Ausbildungsstätte wurde ab 1876 die Königliche Landwirtschaftsgesellschaft und von 1913 bis 1933 die Landwirtschaftskammer für die Provinz Hannover. Ab 1896 beherbergten die Schulgebäude auch noch ein Seminar für Landwirtschaftslehrer und Wirtschaftsberater, das bis 1936 von insgesamt 600 Diplomlandwirten besucht wurde.

Nachdem die Nöte des ersten Weltkrieges und der Folgezeit zunächst die weitere Entwicklung der „Höheren Landwirtschaftsschule“ forciert hatten, kam es in den dreißiger Jahren zu einer Stagnation und schließlich zu völligem Erliegen ihrer Arbeit: Eine Erweiterung der unteren Jahrgangsklassen ermöglichte zwar einen Anschluss an die Grundschule einerseits, Schwierigkeiten mit der Koppelung von Fach- und Allgemeinbildung verlängerten die Schulzeit bis zum Abschluss jedoch andererseits; so entstand vorübergehend ihr Ruf, eine „Luxusschule“ zu sein.

Foto: Michelsenschule
Der traditionsreiche Bau der Michelsenschule (1878) von Stadtbaurat Gustav Schwartz nach dem Wiederaufbau in den 50ern und Renovierungen in den 90ern
Foto: Michelsenschule

Im „Dritten Reich“ ging durch die Auflösung der Landwirtschaftskammer der berufsständische Träger der Schule verloren. An seine Stelle trat ein „Zweckverband“, gegründet von Stadt und Landkreis. Der „Reichsnährstand“ entwickelte eine eigene, ideologisch geprägte Berufsausbildung für Landwirte. Weil die „Höhere Landwirtschaftsschule“ offensichtlich nicht in das Prinzip der Gleichschaltung der gewünschten Bildungseinrichtungen hineinpasste, wurde sie systematisch in ihrer Substanz verändert: 1935 erfolgte die Schließung der Ackerbauschule, die unteren allgemeinbildenden Klassen wurden den Städtischen Volksschulen zugeordnet, den oberen Klassen wurde die Schüleraufnahme verwehrt. Die Restschule erhielt 1940 ihren heutigen Namen „Michelsenschule“ und dank intensiver Bemühungen hiesiger Landwirte beim Reichserziehungsminister in Berlin den Status einer „Sonderschule“ (auch mit landwirtschaftlichem Unterricht). Bei der Zerstörung Hildesheims am 21.3.1945 wurde das Schulgebäude schwer beschädigt. Der Unterricht war bereits zuvor eingestellt worden.

Mit Genehmigung der britischen Militärregierung konnte schon am 18.12.1945 mit 86 Schülern die Unterrichtsarbeit wieder aufgenommen werden. Trotz aufopfernder Bemühungen von Eltern, Schülern, Berufsstand und Handwerkern sowie zögerlich fließender staatlicher Zuwendungen dauerte es fünf Jahre, bis alle Räume der alten Schule wieder nach und nach bezogen werden konnten. Zuerst standen nur kleine Räume der Moritzberger Brauhausschule (Evangelische Volksschule), Räume der Hohnsenschule, eine Moritzberger Gastwirtschaft und der Gemeindesaal der Christuskirche für den Unterricht zur Verfügung.

Nachdem die „(Vorläufige) Landwirtschaftskammer Hannover“ 1947 wieder Träger der Schule geworden war, konnten 1950 und ‘51 die ein- und zweijährigen Fachschulen für bereits praktisch ausgebildete Jungbauern ihre Tätigkeit aufnehmen. – 1963 entstand auch eine „Agraringenieurschule“, die aber 1967 als Fachhochschule nach Osnabrück verlegt wurde. – Den Schülern der allgemeinbildenden Abteilung eröffnete die Michelsenschule ab 1954 einen sogenannten Zweiten Bildungsweg zum vollwertigen Abitur: Nach erfolgreichem Abschluss der 10. Klasse musste eine zweijährige Lehre mit Prüfung absolviert werden, danach konnte über die „Höhere Landbauschule“ die allgemeine Hochschule erlangt werden. Eine „Berufsaufbauschule“ machte auch Hauptschülern diesen Bildungsweg zugänglich. Zu ihrem hundertjährigen Jubiläum erhielt die Schule 1958 einen Neubau mit Sporthalle, Aula und Seminarräumen sowie ein Gewächshaus für Versuchszwecke. Aufgrund eines Landtagsbeschlusses übernahm 1976 der Landkreis die Schulträgerschaft.

Foto: Sabine Brand
Michelsenschüler auch in der Brauhausschule – seit drei Jahren wird zwischen den Schulgebäuden an der Schützenwiese und am alten Moritzberg gependelt
Foto: Sabine Brand

Jetzt umfasst die Michelsenschule ein allgemeinbildendes Gymnasium ab 5. Klasse für Jungen und Mädchen bis zum Abschluss der allgemeinen Hochschulreife sowie als berufsbildende Schulformen die Fachgymnasien Agrar- und Ernährungswirtschaft neben agrarwirtschaftlichen Berufs- und Fachschulen. Für rund tausend Schüler konnte 1992 und ‘93 ein moderner Erweiterungsbau errichtet und eine gründliche Renovierung des Traditionsgebäudes vorgenommen werden. Um dem trotzdem noch vorhandenen Raummangel zu begegnen, stellte die Stadt Hildesheim der Michelsenschule die (schon früher von ihr teilweise genutzte) gesamte Brauhausschule zur Verfügung. Somit ist diese überregional bedeutende Lehrstätte ein echter Bestandteil des Stadtteils Moritzberg.

Dr. Wolfram Burkhard
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