Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 201 · Dezember 2009/Januar 2010
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Moritzberg Verlag
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Alte Mauern und Winkel

(sbr) Der Moritzberg steigt von Kupferstrang und Trillkebach bis zu 30 Meter hoch an. straßen mit starker Steigung erklimmen den Berg, viele Treppen verkürzen die Fußwege. Stützmauern aus Naturstein sichern seit Jahrhunderten die Stellen mit brisanten Höhenunterschieden – Grundstücksgrenzen, Treppenaufgänge und Winkel in straßeneinmündungen. Viele dieser Bauwerke schlummern vor sich hin; sie sind nicht so recht nutzbar unter den heutigen Verkehrsbedingungen. Ihre alte Schönheit – vor 80 oder 100 Jahren hergerichtet – bröckelt. Nur wer ganz jung ist, kann spontan mit den Mäuerchen und Geländern etwas anfangen: Man kann dort klettern.
Die eigenwilligen Bauwerke geben dem Moritzberg seinen Reiz. Aber um sie zu erhalten, sind Handwerkskünste nötig – und neue Nutzungen. Was nicht belebt wird, ist auf Dauer nicht zu retten. Ein Einblick in die Geschichte dieser Orte kann vielleicht helfen, durch kleine Umgestaltungen neue Nutzungen zu finden.
Christian Prenzler, Moritzberger Steinmetz mit Betrieb in der Nordstadt, hat vor einigen Wochen vom Tiefbauamt der Stadt den Auftrag bekommen, Mauerwerk und Treppe an der Ecke Zierenbergstraße – Krehlastraße instandzusetzen. Schadensbegrenzung und Unfallvorbeugung waren das Ziel. 1927 wurde hier ein Eckhaus abgerissen, das der Verbreiterung der Zierenbergstraße im Weg stand. Der kleine abschüssige Platz im Winkel der beiden straßen erhielt damals eine Grünanlage mit Sitzbank. Er wurde durch eine Stützmauer abgesichert, eine Treppe verkürzt den Abstieg zur Krehlastraße. Die kleine Grünanlage wurde später zugepflastert, die Kalksteinmauer beulte sich aus, die Treppenstufen aus Kunststein waren zuletzt ausgefranst.

Christian Prenzler hat mit seinen Mitarbeitern das Mauerwerk im Winkel zwischen Zierenberg- und Krehlastraße instandgesetzt

Prenzler fugte mit seinen Mitarbeitern die Mauer zehn Zentimeter tief aus. Ursprünglich waren die Steine nur in den Bausand gesetzt und vorn ausgefugt worden. Dadurch konnte Regenwasser, das hinten ins Mauerwerk lief, sie nach vorn drücken. Zwar wurde die Beule in der Mauer nicht beseitigt – das hätte den von der Stadt angesetzten Etat überstiegen. Vier am Mauerfuß eingesetzte Nirostahlrohre sichern aber nun die rasche Entwässerung. 100 Arbeitsstunden hat die Firma in das 80 Jahre alte Bauwerk gesteckt. „Die Mauer wird jetzt wieder ein Lebensalter lang halten“, bestätigt Prenzler. „Die Treppe sollte irgendwann einen Natursteinbelag erhalten“, schlägt er vor. Das Pflaster auf dem abschüssigen Plateau will die Stadt demnächst ausbessern und so anheben lassen, dass Regenwasser besser abgeleitet wird.
Und die Nutzung der Ecke an der viel befahrenen Krehlastraße? Vor drei Jahren hat Moritz vom Berge dort zusammen mit dem Kunstverein Via 113 einige Sonntagvormittagsaktionen organisiert: „Ungehaltene Reden“ wurden vorgetragen. Das war lustig – und streitlustig wegen dem Inhalt der Reden –, aber rasch wieder verflogen.
Eine Anwohnerinitiative hat sich damals auch Gedanken um die dauerhafte Gestaltung der Ecke gemacht. In die engere Wahl kam die Pflanzung eines Baumes auf dem Plateau und der Bau eines Brunnens. „Ein Baum wäre schön“, sagt Steinmetz Prenzler, „aber wegen dem Wurzelwerk von Nachteil für die Natursteinmauer“. Der Vorschlag eines Brunnenbaus ist nicht vom Tisch – es soll kein wasserführender, sondern ein symbolischer Brunnen sein: ein „Schatzbrunnen“ mit bunten Glasbrocken, der den „Schatz auf dem Krehla“ thematisiert. „Der Schatz auf dem Krehla“ ist die einzige überlieferte Sage vom Moritzberg.
Unten an der Krehlastraße, an ihrer Einmündung in die Elzer Straße, gibt es noch solch einen merkwürdigen Ort, der den Dornröschenschlaf schläft: verputzte Mauerpfosten mit zerbeultem Geländer – vor vielen Jahren ist jemand dagegengefahren, dann drei Treppenstufen und eine mit der Krehlastraße ansteigende verputzte Stützmauer, schließlich noch eine Treppe für den Weg von der Krehlastraße zur Bushaltestelle. Der breite Bürgersteig an der Elzer Straße unterhalb der Mauer ist vor allem Containerstellplatz – das bisschen Buschgrün daneben kann, übermäßig zurechtgestutzt, die Trostlosigkeit dieses Ortes nicht überdecken.
Auch dieser Winkel zwischen zwischen zwei straßen war ursprünglich hübsch angelegt und viel genutzt, als es noch wenige Autos gab. „Hier könnte man etwas sehr Schönes bauen“, entfuhr es Fabian Schäfer, dem Stadtumbau-Projektleiter des Planungsbüros ANP, ganz spontan auf einem Rundgang durch Moritzberg im letzten Frühjahr. „Ich stelle mir eine breite Treppenanlage vor, die von der kleinen Grünanlage oben an der Kastanie herabführt und die Mauern ersetzt.“ Zwar liegt diese Ecke außerhalb des Stadtumbau-Bereichs, aber Schäfers Idee ist ausgesprochen und zieht ihre Kreise.

Fotos (2): Sabine Brand
Trostlose Überreste aus verschiedenen Zeiten an der Krehlastraße - oben an der Kastanie stand 100 Jahre lang ein Heiligenhäuschen.
Fotos (2): Sabine Brand

Die Grünanlage an der Kastanie hat es im Übrigen in sich. Jahrzehnte war dort ein Sitzplatz mit zwei Bänken. 1991 richtete das Gartenamt dort einen kleinen Spielplatz ein und schuf für die Kastanie davor – ein Naturdenkmal – bessere Überlebensbedingungen. Wenige Jahre später hob das Gartenamt den Spielplatz wieder auf. Ein Anwohner hatte sich beschwert, weil Jugendliche von dort Kastanien auf die Elzer Straße warfen.
Lange vor dieser Zeit stand auf diesem Fleckchen Grün das vierte Moritzberger Prozessionskreuz: Die jährliche Urbanusprozession der katholischen Kirche zog ursprünglich auch um den Norden Moritzbergs herum und machte hier Halt. Das Kreuz war 1849 aus Sandstein errichtet worden. Das frühere Holzkreuz hatten Anwohner in Selbsthilfe, ohne Genehmigung, aufgestellt – 1830 gab es regen Schriftverkehr im bischöflichen Haus darüber.
Die Moritzberger verehrten den Platz von alters her. Abends wurden dort Lichter angezündet. 1712 hatte der Einwohner Vockelmann dort, bei der Schmiede vor dem Dingworthtor, ein Heiligenhäuschen bauen lassen und in seinem Testament Geld für dessen Unterhaltung und für Reparaturen vermacht. Der Kult um den Platz gefiel den offiziellen Vertretern der Kirche nicht. In den Jahrzehnten um 1800 ließ der damalige Pfarrer von Moritzberg das Heiligenhäuschen verfallen und 1812 abreißen. Es kam zu einem Prozess, in dem das Unrecht des Pfarrers bestätigt wurde – aber die Kapelle war zerstört. Als Erinnerung daran stellten die Anwohner 18 Jahre später eigenwillig das erste Prozessionskreuz auf und verlangten dessen Unterhaltung durch die Kirche.
Ein denkwürdiger Ort im Winkel zwischen zwei straßen: der Alten Chaussee (1875, heute Krehlastraße) und der Neuen (Elzer Straße) – kein toter Winkel, sondern einer, der sein Geheimnis verbirgt. Eine Neugestaltung, die an seine alte Würde anknüpft, wäre reizvoll.

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