Moritzberger Gastlichkeit alten Stils
„Krehla“ nach 156 Jahren geschlossen
(sbr) Ende November 2009 hat der „Krehla“ geschlossen, die Moritzberger Obstweinschenke an der Moritzstraße. Sie war die älteste im Familienbesitz erhaltene Gaststätte Hildesheims. Margret und Gerhard Scholl hatten schon eine Weile darauf hingearbeitet, den Betrieb abzugeben. Als sich Ende 2009 die Möglichkeit zum Verkauf bot, ging alles sehr schnell: drei Abende zum Abschiednehmen von den Gästen - auch viele Hildesheimer kamen noch einmal zum „Krehla“ hinauf, dann die Räumung innerhalb einer Woche mit Hilfe von guten Freunden, schließlich der Umzug in eine neue Wohnung. Margret und Gerhard Scholl sind auf dem Moritzberg geblieben; von seinem Fenster aus guckt Scholl auf die Gebäude des „Krehla“. Er ist froh darüber - mit einem Schuss Wehmut und Bedauern dabei: „Gern hätten wir noch ein paar Jahre weitergemacht, wenn wir gesundheitlich auf der Höhe wären.“

Der „Krehla“ und seine Gastlichkeit waren Dreh- und Angelpunkt im Leben des Ehepaares. Beide sind in der Gastronomie groß geworden: Gerhard Scholl in einer Dorfgaststätte in Hessen, Margret auf dem Moritzberg im „Krehla“ ihres Vaters Karl Meyer. Beide machten ihre Gastronomie-Lehre in renommierten Hotels; während ihrer Wanderjahre lernten sie sich in der Nähe von Fulda kennen. Als Karl Meyer Ende der sechziger Jahre plante, sich aus dem „Krehla“ zurückzuziehen, beschlossen sie zu heiraten und die Obstweinschenke weiterzuführen. Ab 1. Januar 1970 übernahmen sie den Betrieb und führten ihn als Abendgaststätte nach eigenem Konzept.

„Wir haben den Krehla in der fünften Generation betrieben“, erzählt Gerhard Scholl. Bis 1973 kelterte er noch selbst den Obstwein aus eigenen Früchten. Zum „Krehla“ gehörte damals ein großer Obstgarten zwischen Moritz- und Zierenbergstraße. Aus ihrer Küche boten Margret und Gerhard Scholl Spezialitäten an, die zum Wein passen: französische Zwiebelsuppe, überbackenen Camembert und Muschelgerichte zum Beispiel. Der „Krehla“ zog mit seinem beliebten Obstweingarten Gäste aus ganz Hildesheim und dem Umland an. An schönen Sommerabenden summte der Berg von dem lebhaften Stimmengewirr auf der Terrasse und der spanischen Veranda.


Vor dem zweiten Weltkrieg, erzählt Gerhard Scholl, war der Betrieb um ein Vielfaches größer. 1853 hatte der Ur-Urgroßvater seiner Frau, Christian Meyer, mit einer Sommer-Gartenwirtschaft bei seiner Gärtnerei auf dem Krehla den Grundstein gelegt. Der Krehla war damals noch weitgehend unbebaut. Christians Sohn Fritz erweiterte den Betrieb, dessen Sohn Fritz-Georg machte um 1900 den Schritt zur eigenen Obstweinkelterei und baute ein großes Gasthaus am Krehlateich mit Restaurantbetrieb im Erdgeschoss, Veranstaltungssaal und Clubzimmern im zweiten Geschoss und Fremdenzimmern im dritten. Am 1. April 1911 wurde im Garten des „Krehla“ von den Moritzberger und Hildesheimer Gemeindevertretern die Eingemeindung Moritzbergs gefeiert. Ab 1930 wurde der Krehla-Teich neben dem Gasthaus zugeschüttet; seine Reste waren noch nach 1945 sichtbar.
Fritz-Georgs Sohn Karl Meyer übernahm den Gastronomiebetrieb 1935 in vierter Generation. Am 22. März 1945 wurde der Gasthaus-Neubau der Jahrhundertwende durch Bomben total zerstört. Karl Meyer baute ihn nicht wieder auf, sondern richtete im unzerstörten Natursteinbau, dem Stammhaus des „Krehla“, zwei Weinstuben ein. 1953 wurde zum 100-jährigen Bestehen zwischen Vorraum und Weinstube ein Buntglasfenster mit Darstellungen von Hildesheimer Originalen wie dem „Hamburger Willem“ und der „Harfenjule“ eingebaut. Der große Kaffeegarten im Bereich des späteren Parkplatzes auf der Ostseite der Moritzstraße wurde noch bis 1963 bewirtschaftet.

Georg und Margret Scholl führten die lange Familientradition nahtlos fort. 156 Jahre lang wurde im „Krehla“ die Gastlichkeit alten Stils gepflegt, wurden hier unzählige Stammtische, Vereinsfeiern und Festlichkeiten veranstaltet. Wer den Krehla in den letzten Jahren besuchte, war von der familiären Atmosphäre eingefangen und fühlte sich tief in die Moritzberger Geschichte zurückversetzt - ein Ort, an dem die Zeit still stand, wo Vergangenheit und Tradition lebendig blieben. Mitten drin Georg Scholl, Hausherr und Gastwirt der alten Schule mit unnachahmlichen Stil und starker Verbundenheit mit dem Ort und seiner Nachbarschaft.
Mit der Schließung des „Krehla“ ist auf dem Berge ein Rest von Alt-Moritzberger Atmosphäre verschwunden - zumindest aus der Öffentlichkeit. Den Stammgästen fehlt die kommunikative Heimat, der Ort, an dem man auflebte und den Alltag besprach.
Gerhard Scholl schmunzelt: Mit dem Kaufvertrag hat er abgesichert, dass das Krehla-Stammhaus nicht abgerissen wird. Wenn sich ein neuer Betreiber findet, wäre eine Wiedereröffnung denkbar.

Mit der Moritzberger Tradition und Geschichte wird Gerhard Scholl weiter beschäftigt sein. Er findet jetzt Zeit, seine Erinnerungen und seine Schätze aus vergangenen Zeiten zu ordnen.
Wieso Flachdach?
Moderne Kunst im Bockfeld