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Kultstätte „be bop”
Der authentische Ort der Siebziger
(sbr) Die Siebziger, das sind die Jahre, wo ich nicht in Hildesheim gewohnt habe, höchstens mal am Wochenende auf Familienbesuch hier war. Mein kleiner Bruder erzählte mir damals vom „be bop” auf der Wilhelmshöhe – mein kleiner Bruder, der mit fünf, sechs Jahren dabei gewesen war, wenn meine älteren Brüder jedes Autonummernschild abschrieben, das die enge Bergstraße passierte: alles dänische und schwedische Kennzeichen. Das war damals eine Sensation: die wenigen Autos in den Sechzigern, und dann im Sommer reihenweise ausländische Wagen, die auf ihrer Reise in den Süden auf dem Campingplatz Wilhelmshöhe am Rottsberg Station machten.
Anfang der Siebziger verließ ich den Moritzberg in Richtung Großstadt – und dann kam das „be bop”. Die heute legendäre Disco zog in das alte Ausflugslokal „Wilhelmshöhe” ein, das auf den Sonntagsspaziergängen meiner Kindheit immer das erste Etappenziel war, wo man vielleicht ein Eis bekam.
„Hast du in Bremen nichts davon gehört?” fragte mein kleiner Bruder, sechzehn Jahre alt. „Aus ganz Norddeutschland reisen die Leute an, um ins be bop‚ zu gehen. Das be bop’ ist das Größte, es ist unglaublich, kann ich dir nicht beschreiben. Musst du selber hingehen.”
Die kurzen Familienbesuche reichten nicht aus, um das Unglaubliche, den magischen Ort, kennen zu lernen. Als ich ’86 wieder nach Hildesheim zog, gab es kein „be bop” mehr – nur den Abklatsch in der Nordstadt, von dessen Besuch man mir abriet.
Jetzt, nach wieder 22 Jahren Moritzberg, blättere ich in dem frisch erschienenen „be bop”-Buch und begreife, was mir entgangen ist, während ich in den Großstädten lebte: Das Hildesheimer Hexenhaus oben am Waldrand war der authentische Ort der Siebziger, die fantastische Disco mit experimenteller und Weltmusik, der Dreckschuppen, die Hölle, die wahre Heimat so vieler, die jetzt, zwischen fünfzig und sechzig Jahre alt, noch immer ihre Familie wiederfinden möchten.
Joe Cocker war dort, Herman Brood, Thomas Quasthoff, Jack Bruce, Mythen in Tüten und Osibisa. Aber nicht die Konzerte, die ich nicht erlebt habe, machen mich so kribbelig, wenn ich das „be bop”-Buch ansehe: Das Lebensgefühl jener Jahre springt aus jedem Foto über, aus den „tief ehrlichen” Kleinstadt-Gesichtern der jungen Leute – der Traum von der Freiheit, das Experimentieren mit Drogen, das Loslassen und die Hingabe an die Musik. Jeder konnte sich ausdrücken, wie er sich fühlte – Fassade und Styling längst nicht so gefragt wie heute.
Die Texte des Buches bestricken: Jeder Zeitzeuge spricht / schreibt, wie er möchte – schräg, abgedreht oder nüchtern. Kein einheitlicher Stil, der die authentisch mitgeteilte Vielfalt unterdrückt. Die ersten Worte und Fotografien des Buches holen meine Jugend zurück: das „Draußen” („Die Freiheit. Amsterdam. San Francisco … Woodstock.”), symbolisiert durch Zeltstangen und Plastikplanen der ersten großen Open-Air-Festivals, und das Drinnen, („Hildesheim. Huckup-Brunnen. Hohnsensee. Schule. Studium. Lehre. Arbeit.”), eingefangen durch die enge Roter-Backstein-Hinterhof-Optik der niedersächsischen Stadt, die Ruinen am „Hipetuk”, den Rathaus-Neubau – genau das Drinnen, dem ich durch den Aufbruch ins Studium, in die Großstadt, entkommen wollte.
Am 5. November 1976 eröffneten Candido de Bona, Kurt-Martin Leiding und Peter Höcker das „be bop” auf der Wilhelmshöhe. Für 99 Pfennig Eintritt betrat man – wenn man nicht durchs Klofenster kletterte – die „Hölle” mit zwei Räumen, vorn den „Vorhof” mit Sitzplätzen, hinten das „Inferno”, die Disco. „Dort war immer eine hervorragende Tonanlage, und es gab die neuesten, auch außergewöhnliche, Schallplatten zu hören.” „Es gab die Szene drinnen und die Szene draußen vor der Tür” – „die draußen, die nicht nur den Sternenhimmel angeguckt haben” – und den „stetigen Wechsel zwischen Drinnen und Draußen.” „Man blickte auf die Stadt hinunter und hatte zusätzlich noch das Gesamte, dieser großartige Sternenhimmel.” „Da gab es Wald und Wiese und freie Natur.”
Schon der Weg zum „be bop” war ein gemeinschaftliches Ereignis: Zu Fuß, quer über die Felder oder mit dem Auto gelangte man dorthin. „Selten kam man, wenn man mit dem Auto hochfuhr, alleine an. Entweder man nahm schon in der Schuhstraße welche mit – oder spätestens unten am Berg.” „Hatte man nicht schon am Huckup‚ den Daumen rausgestreckt, tat man dies spätestens am Fuß des be bop Berges’.” „Winters krochen sie auf allen Vieren, weil die Stadt sich weigerte, den Weg in den Sündenpfuhl ordnungsgemäß einzusalzen.”
„Regelmäßig tanzte man sich am Wochenende im be bop‚ die angestauten Sorgen der vergangenen Woche von der Seele.” Die Musik mit legendär breitem Spektrum reichte vom Rock, Jazz-Rock und freien Musikstilen bis zum New Wave und Punk der achtziger Jahre. Auch die Konzerte im kleinen, dunklen „be bop” wurden legendär. „Von weitem hörte man schon die Töne. Die Konzerte waren für mich wie ein aus der Ferne schimmernder Juwel, der ständig anlockte.” „Ich wurde oben auf dem Berg erst so richtig mit der Magie von live gespielter elektrischer Musik infiziert.” Auch die Tour-Veranstalter erinnern sich an Freiräume, die es in späteren Jahrzehnten nicht mehr gab: „Da wurde alles selbst gemacht und mehr improvisiert. Da blieb man auch nach dem Konzert noch mit den Musikern zusammen. Manchmal haben wir mit den Parties dann noch hier bei uns weitergemacht.” „Weit reichte der Ruf des Ladens”, behauptet Udo Wolff vom „Dritten Ohr”. „Das be bop’-Programm war republikweit bekannt … vom Boden- bis zur Nordsee.”
Etwa bis vier Uhr morgens dauerten die Abende im „be bop”, „oftmals abgerundet durch einen Heimweg in der Morgendämmerung, begleitet von Vogelgesang”. „Wenn die Flascheneinsammler ihre letzte Runde machten, … packte man seine sieben Sachen zusammen und dachte schaudernd an die Kacke, in der man morgen wieder versinken würde. Irgendwann wurde das Pfeifen im Ohr leiser, und dann konnte man ihn blubbern hören, den Brei aus Schule, Kirche und Elternhaus, der draußen auf einen wartete.”
Um die tausend Besucher hatte das „be bop” nach der Anfangszeit pro Nacht. Anfang der achtziger Jahre verschaffte sich die „Interessengemeinschaft Lärmbelästigung Triftstraße / Rottsberg” lautstark Gehör gegen den Betrieb der Disco. 600 bis 800 Fahrzeuge zählte sie pro Nacht zwischen 20 und 1 Uhr. Die „be bop”-Betreiber willigten vor Gericht ein, nach einem Ersatzstandort zu suchen. Das ehemalige Landgasthaus Wilhelmshöhe hielt dem regen Betrieb nicht mehr stand. Bei den letzten Konzerten regnete es durch die Decke, „man versackte stellenweise etwas im Boden”. Am 30. Dezember 1985, nach neun Jahren „be bop” auf dem Berg über der Stadt, zog Candido de Bona mit dem „be bop” in den „Musikladen” in der Steuerwalder Straße um.
Das „be bop” auf dem Rottsberg ist „Wegbereiter” für eine ganze Generation von jungen Hildesheimern gewesen – es hat Impulse gegeben für den Weg von Drinnen nach Draußen. Es war Ersatzfamilie und Heimat für viele. „Das Berauschende und Kraftvolle dieser bunten, magischen 70er Jahre” war dort am richtigen Ort.
„be bop” – Die Wilhelmshöhe rockt.
Disco und Konzerte in der Hölle
von Brigitte Tast und Hans-Jürgen Tast ist im April 2007 im Verlag Gebrüder Gerstenberg GmbH & Co. KG mit über 150 Schwarz-Weiß-Fotografien erschienen.
ISBN 978-3-8067-8589-0, 15,90 Euro.
Die Autoren Brigitte und Hans-Jürgen Tast, in den siebziger Jahren Filmstudenten in Braunschweig, machten bei ihren häufigen „be bop”-Besuchen Aufnahmen von den Musikern und den Gästen. Am Freitag, dem 3. August ab 19 Uhr kommen sie zu einem „be bop”-Abend ins Café Lokal Redaktion in der Dingworthstraße 38. Ehemalige Freunde und Gäste des „be bop” sind eingeladen, an diesem Abend eigene Fotos oder Dias mitzubringen und ihre Geschichten des „be bop” zu erzählen.
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