Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 188 · Oktober 2008
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Neue Nachbarschaften im alten Propsteihof

(sbr) Auf dem Gelände des ehemaligen Propsteihofes am Rande des Berghölzchens, neben der Mauritiuskirche, geht es in den letzten Wochen sehr lebendig zu. Wo bis in die Siebzigerjahre Eggers’s Bauernhof ländliches Flair verbreitete und dann in Neubauten jahrzehntelang die Fachschule für kirchlichen Gemeindedienst untergebracht war, haben sich nun verschiedene Unternehmen der Caritas eingerichtet. Sie arbeiten alle mit jungen Leuten – Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Eine Außenwohngruppe (AWG) der St. Ansgar Kinder- und Jugendhilfe ist mit zehn Kindern und Jugendlichen bereits seit über zwei Jahren im östlichen Flügel der Gebäude heimisch. Ende August 2008 hat sich eine Mädchengruppe (MWG) mit neun Wohnplätzen angeschlossen. Und seit dem Ende der Sommerferien ist die Elisabeth-von-Rantzau-Schule, eine Berufsbildungsschule, mit 180 Schülerinnen und Schülern eingezogen. In ihren Räumen arbeitet auch die Fachakademie für Sozialmanagement, sie bietet Schulungen für Führungskräfte im sozialen Bereich an.

Photo: Jugendgruppe1
Ein neues Zuhause und ein Ort zum Lernen – der Propsteihof ist zum täglichen Ziel für viele junge Leute geworden
Das bringt reges Leben auf den Berg – Trüppchen von erwachsenen Schülern frühmorgens bergauf, mittags bergab, Kinderlachen und jugendliche Stimmen auch am Nachmittag und am Abend, Fachgespräche und auswärtige Besucher am Wochenende.

„St. Ansgar“ und „Elisabeth von Rantzau“ sind auch außerhalb des Moritzberges miteinander verbunden. Beide haben ihre Zentrale auf einem gemeinsamen Gelände an der Hildesheimer Wiesenstraße. Die Kinder- und Jugendhilfe St. Ansgar wurde vor 48 Jahren als Kinderdorf für schwierige oder gefährdete Kinder eingerichtet. 1961 folgte die Gründung der St.-Ansgar-Schule. Ordensschwestern bildeten dort in Heimerziehung und Kinderbetreuung aus. 1971 wurde die Schule zur selbstständigen Ausbildungsstätte für Erzieher/innen unter weltlicher Leitung.

Photo: Jugendgruppe2
Alltag im Heim: Fabian, Annika und Janine erinnern sich an die letzten Besuche von Verwandten
Ihren heutigen Namen erhielt sie 1994, um eine adelige Dame des 17. Jahrhunderts zu ehren: Elisabeth von Rantzau. Sie hatte als Schwester des Annunciaten-Ordens ein Kloster an der Michaeliskirche gegründet. In ihrer Einrichtung „Klein-Bethlehem“ wurden bis 1810 Mädchen in schwierigen sozialen Lagen in Kindererziehung, Pflege und Hauswirtschaft unterrichtet. Danach wurde Klein-Bethlehem ein Waisenhaus.

Zur St. Ansgar Kinder- und Jugendhilfe gehören heute neben drei Häusern in der Wiesenstraße drei sogenannte stationäre Außenwohngruppen, verschiedene Tagesgruppen und ein ambulanter Dienst. Eine der Außengruppen war einige Jahre lang in der Alfelder Straße 109 untergebracht, bis die Hanseatic Gruppe Haus und Grundstück übernahm. Eine andere Außengruppe, die junge AWG Moritzberg, zog 2006 aus Himmelsthür auf das Propsteihof-Gelände. Zehn Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 17 Jahren leben hier wie in einer großen Familie zusammen. Sie werden betreut von sechs Erwachsenen im Schichtdienst mit Nachtrufbereitschaft – Sozial- und Kulturpädagogen, Erzieherinnen und eine Praktikantin. Jedes Kind hat sein eigenes Zimmer und Duschbad. Mit Blick auf die alten Natursteinmauern des Propsteihofes sind gemütliche Gemeinschaftsecken und eine geräumige Spielwiese eingerichtet.

„Wir sind eine integrative Wohngruppe“, erklärt Martin Wiechol, der Leiter der AWG Moritzberg – „integrativ, weil unsere Gruppe sich zur Hälfte aus leicht geistig beeinträchtigten und zur Hälfte aus sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen zusammensetzt. Unsere Kinder decken das ganze Spektrum von der Schule im Bockfeld über die Gelbe Schule bis zum Gymnasium ab. Unsere Gymnasiastin wächst zusammen mit siebenjährigen Sonderschul-Zwillingen auf – das ist schon eine Besonderheit unserer Arbeit.“

„Eigentlich arbeiten wir doppelt integrativ“, ergänzt Burkhard Hohls, Sozialpädagoge. „Wir sind in den Stadtteil eingebunden, arbeiten mit den Kirchengemeinden und den Vereinen zusammen und bieten selber eine Tanzgruppe an, in der Moritzberger Kinder und Jugendliche mitmachen.“ Kulturpädagogin Patricia Prüfer hat die Tanzgruppe „muse x“im Pfarrheim St. Mauritius aufgebaut und so engagiert trainiert, dass sie bereits auf mehreren Stadtteilfesten und bei größeren kulturellen Veranstaltungen auftreten konnte.

Regelmäßig gehen die Kinder der AWG Moritzberg in ihrer Freizeit zum Reiten und zum Klettern – nicht nur an der St.-Ansgar-Kletterwand oder in der Uni, sondern auch im Ith. Und in den Sommerferien wanderten Kinder und Betreuer zum zweiten Mal zehn Tage lang auf dem spanischen Jakobsweg – nicht etwa, weil der Arbeitgeber dies verlangt, sondern aufgrund des außergewöhnlichen Engagements der Mitarbeiter.

Photo: Bälchenbad
Der siebenjährige Siggi im Bällchenbad – hier entspannen sich die Kinder von St. Ansgar gern

Im Alltag auf dem Moritzberg steht neben Schule, Ausbildung und Freizeitaktivitäten auch die Selbstversorgung an. Die Kinder putzen selbst – wochentags unterstützt durch „Hausfrau“Gabi Behrens; sie kaufen selbst ein – auf dem Moritzberg, in der Dingworthstraße – und sind an den Küchenarbeiten beteiligt. Das macht ihnen Spaß, fördert die Selbstständigkeit und schafft die familiäre Atmosphäre.

Eine weitere Außengruppe von St. Ansgar, die Mädchengruppe, ist vor einigen Wochen vom Brühl auf den Moritzberg umgezogen. Neun der 14- bis 18-jährigen sind in der sogenannten stationären Unterbringung, drei in der mobilen Betreuung. Vom Moritzberg aus besuchen sie die Schule oder den Ausbildungsplatz. In der Freizeit sind Fußballspielen, Joggen und Tanzen die Lieblingsaktivitäten. Und in den Ferien, erzählt Gruppenleiterin Dorothea Schwan, kann sie diese Altersgruppe nicht mehr mit Wandern locken. Dafür geht es an die See, zum Beispiel zehn Tage zu fünf Personen in einem Wohnmobil auf die Insel Sylt – auch eine außergewöhnliche Herausforderung für die Betreuerin. „Man lebt zusammen und das gelingt nur, wenn man wirklich dabei ist“, sagt Frau Schwan – mit Herz und Seele, meint sie, als ganzer Mensch. Dorothea Schwan hat langjährige Erfahrung in der Kinder- und Jugendarbeit, sie ist seit 35 Jahren dabei. Die MWG und die AWG auf dem Propsteihof verständigen sich sehr gut miteinander. Ausdrücklich bemüht sind sie um gute Nachbarschaft mit den anderen Anwohnern am Berghölzchen. Demnächst werden die Nachbarn zu einem Fest mit Vorstellung der beiden Gruppen eingeladen.

Zu den 180 Schülerinnen und Schülern der jüngst eingezogenen Elisabeth-von-Rantzau-Schule ist der Kontakt natürlicherweise zunächst distanzierter. Die Schule bildet junge Männer und Frauen – Katholiken, Protestanten und Muslime – zum Sozialassistenten und zum Erzieher aus. Man kann dort den Realschulabschluss, die Fachhochschulreife und das Abitur erreichen. Das Schulgeld beträgt monatlich 60 Euro.

Photo: Gruppenleiterin Dorothea Schwan
Gruppenleiterin Dorothea Schwan in der neuen Küche: Am Wochenende kochen die Mädchen selbst

Fotos (4): Sabine Brand

Die Elisabeth-von-Rantzau-Schule hat insgesamt 400 Schüler/innen. 180 von ihnen, die Oberstufe mit den Klassen 11 bis 13, werden auf dem Moritzberg unterrichtet. „Wir haben diese Organisationsform nicht nur aus Raumnot gewählt“, betont Schulleiter Prof. Alois-Ernst Ehbrecht. „Aus unserem christlichen Verständnis heraus möchten wir Schule anders machen. Soziale Verträglichkeit und kommunikative Umgangsformen sollen nicht nur theoretisch unterrichtet, sondern auch im Schulalltag umgesetzt werden. Schule soll überschaubar bleiben, sonst purzeln die Schüler aus dem Klassenraum in den Massenbetrieb, in die Anonymität.“ Um den Schüler/innen lange Anfahrtzeiten zu ersparen, bietet die Schule neun Internatsplätze an – sie waren kurz nach dem Einzug der Schule bereits vergeben.

In der integrierten Ausbildungsstätte für Berufstätige, der Fachakademie für Sozialmanagement – auch mit Hauptsitz in der Wiesenstraße – wird freitags und samstags für die staatlich anerkannte Zusatzausbildung „Sozialmanagement“ gearbeitet. Hier geht es zum Beispiel um betriebswirtschaftliche Fragen und um Personalmanagement – Themen, mit denen Pädagogen oder Sozialarbeiter meist nicht vertraut sind.

Rund um die Bergstraße konzentrieren sich einige Schulen. Aus dem alten Propsteihof – seit Ende des 16. Jahrhunderts in bischöflicher Hand – ist nun ein neuer Schwerpunkt für Erziehung und Ausbildung geworden – in ruhiger, sozial verträglicher Lage. „Wir schätzen die Umgebung sehr“, bestätigt Schul- und Akademieleiter Ehbrecht das Urteil der Kollegen von St. Ansgar. „Die anderen Einrichtungen und die Mauritiusgemeinde mit Pfarrer Manzanza haben uns sehr erfreut hier aufgenommen.“

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