Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 241 · September 2013
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Moritzberg Verlag
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Bäckerei Krone

Die "Bückebergstraße" nervt

(sbr) An der Nordseite des Moritzbergs verläuft die „Bückebergstraße“, ein knapp eineinhalb Kilometer langes Stück der Bundesstraße 1 (B1). Die Straße stört – aus vielerlei Gründen. Sie riegelt Moritzberg rigoros von Himmelsthür und dem Hildesheimer Norden ab, ebenerdig kann man sie seit Mitte der 1970er Jahre nicht mehr überqueren. Der Verkehr auf der „Bückebergstraße“ ist so laut, dass eine Lärmschutzwand am neuen Phoenix-Wohngebiet vorgeschrieben ist. Den Bewohnern der älteren kleinen Häuser am Sykeweg, einem Reststück der B1 aus der Zeit, als Himmelsthür noch selbständig war, bleibt solcher Luxus vorenthalten. Die Autos auf der „Bückebergstraße“ fahren zu schnell – 100km/h stadteinwärts machen keinen Sinn. Die Geschwindigkeitsregelungen auf dem B1-Teilstück zwischen Himmelsthür und der Arnekengalerie im Hildesheimer Zentrum wechseln zudem mehrfach – ein Resultat der Eingriffe des Oberbürgermeisters in die Planungen des Stadtbaurats.
BückebergstrasseDie Bückebergstraße zur Zeit ihrer Fertigstellung um 1937. Sie sollte Hitlers Fahrten zum Bückeberg bei Hameln dienen. An der Stelle der "Hosenträgerfabrik" (Bildmitte) ist heute die Auffahrt von Himmelsthür und der B1 zur Elzer Straße
Foto: Archiv Kultur und Geschichte vom Berge e.V.
Die „Bückebergstraße“ geht noch aus einem anderen Grund auf die Nerven. Sie bewahrt die Erinnerung an einen Ort, der in der Nazizeit das Aufmarschgebiet des Deutschen Reiches zur Erntezeit war. Auf dem Bückeberg bei Ohsen an der Weser, in der Nähe von Hameln, fanden 1933 bis 1937 die Reichserntedankfeiern statt, Propagandaveranstaltungen für Hitlers Ideologie von Volk, Blut und Boden. Zeitweise mehr als eine Million Menschen versammelten sich dort zu einer Feier mit inszeniertem Führerkult – schon wegen dieser Dimension ein Erlebnis, das stark beeindruckte.

Die „Bückebergstraße“ wurde gebaut, um von der „Reichsbauernstadt“ Goslar schneller direkt zu den jährlichen Erntedankfeiern bei Hameln zu kommen – ohne Umweg über die verschlungenen Wege der alten „Reichsstraße 1“ durch die Dingworthstraße und die Elzer Straße. Das neue Teilstück zwischen Schützenallee und Elzer Straße hieß im Volksmund aber lange Zeit „Ewigkeitsweg“ statt „Bückebergstraße“, weil die Fertigstellung „ewig lange“ dauerte. Als die „Bückebergstraße“ dann fertig wurde, fuhr Hitler nicht einmal auf ihr zur Erntedankschau zum Bückeberg. Der Krieg brach aus – die Feiern fanden nicht mehr statt.
50er JahreDie Bückebergstraße mit Blick nach Süden zur Pappelallee, noch ohne Sporthalle, 1954
Foto: Walter Pinkepank
Der Zweck, auf den der Straßenname hinweist, wurde nie erfüllt, der Name war bloß eine Absichtserklärung. Das genannte Ziel ist heute unerheblich. Kaum jemand aus den jüngeren Generationen kennt den Bückeberg bei Hameln. In einem Straßennamen-Wettbewerb, den die SPD-Ratsfraktion 2011/12 auf den Weg brachte, urteilten die Schülerinnen der Realschule Himmelsthür: „Der Straßenname erleichtert weder die Orientierung noch steht er mit der Stadt Hildesheim in irgendeiner Verbindung.“ Somit dränge sich die Frage auf, ob ein ideologisch so geladener Name überhaupt noch berechtigt wäre.

Am 8. September ist der Tag des offenen Denkmals. In 2013 steht er unter dem Thema „Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmale?“ Im Mittelpunkt stehen Denkmale, die an ein Erbe erinnern, was man lieber nicht hätte, aber auch nicht verdrängen oder beschönigen sollte. Die Eröffnung dieses Tages für das Land Niedersachsen findet diesmal in Hameln statt – mit Festvortrag, Film und Ausstellung über die Geschichte des Bückebergs.

Der Tag des offenen Denkmals ruft die Bedeutung des Namens „Bückebergstraße“ wieder ins Gedächtnis – und gibt einen guten Anlass, sich nun davon zu verabschieden. Anstelle der alten Bezeichnung, so regt Hartmut Häger an, sollte der Straße ein neuer Name gegeben werden. Häger ist langjähriger Ratsherr aus dem Süden der Stadt und Motor des „Vernetzten Erinnerns“, der Hildesheimer Online-Plattform, auf der die Erinnerungen an den Nationalsozialismus vor Ort gesammelt werden. Häger schlägt Namen von Frauen vor, deren Lebens- und Leidensgeschichte eng mit den Ereignissen jener Jahre verknüpft ist. Zum Beispiel Lily von Angeren-Franz: Im März 1943 wurden Lily, damals 23 Jahre alt, und ihre Schwester Waltraud Franz von ihren Arbeitsplätzen bei den Wetzell-Gummiwerken am Moritzberg weggeholt und zusammen mit ihren Familienangehörigen ins „Zigeunerlager“ Auschwitz deportiert – weil sie Sinti waren. Lily und Waltraud überlebten, aber ihre Mutter, ihre Großmutter und alle Geschwister wurden in Auschwitz ums Leben gebracht.

Die Schwestern gingen in der Nähe der „Bückebergstraße“ zur Arbeit, sie wurden – vermutlich – über dieselbe Straße zum Polizeigefängnis befördert und zum Bahnhof mit Fahrtziel „Auschwitz“  gebracht. Wenn der neue Name des B1-Teilstücks an diese Leidtragenden der Nazizeit erinnert, wäre das eine würdige Art der Erinnerungsarbeit: „Lily und Waltraud Franz-Straße“ zum Beispiel.
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