Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 181 · Februar 2008
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Als Arzt geliebt, als Jude geächtet

Jüdische Moritzberger

(sbr) Dr. Leopold Cohn war in der Vorkriegszeit der bekannteste jüdische Bürger am Moritzberg – er war niedergelassener Arzt mit Praxis in der Bergstraße 1. Sein Schicksal bewegte sehr viele Moritzberger, noch in den neunziger Jahren kursierten unter den Älteren verschiedenste Versionen über seinen Verbleib nach 1938. Unverarbeitet scheint bis heute der Widerspruch zu sein zwischen seiner Beliebtheit als Arzt und der schrittweisen öffentlichen Ächtung. Zunächst wurde Cohn in seiner Berufsausübung eingeschränkt, dann aufgrund falscher Anschuldigungen verhaftet, schließlich verschwand er. Der innere Konflikt über das empfundene Unrecht und das eigene Schweigen dazu beschäftigt die letzten Zeitzeugen Cohns – damals Kinder oder Jugendliche – bis heute. Moritz vom Berge stellt deshalb die Person Dr. Cohns anhand schriftlicher Quellen vor und lässt zwei Zeitzeugen zu Wort kommen. Ein Foto des jüdischen Arztes war bislang nicht zu finden.

Photo: Kultur und Geschichte vom Berge e.V.
Spuren eines angesehenen jüdischen Bürgers, dessen Existenz Ende der 30er Jahre vernichtet wurde: Dr. Leopold Cohn hatte seine Wohnung und seine Praxis im Haus Bergstraße 1 (Foto vor 1920)
Foto: Kultur u. Geschichte vom Berge e.V., Hildesheim

„Leopold Cohn, eine der markantesten und aktivsten Persönlichkeiten innerhalb der jüdischen Gemeinschaft Hildesheims, wurde am 10.5.1878 geboren. L. Cohn war Frontsoldat während des Ersten Weltkrieges. Für seine Verdienste erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, so das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse sowie das Verwundetenabzeichen. Er kehrte als Kriegsversehrter zurück.”(1) Dr. Cohn engagierte sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in zahlreichen jüdischen Vereinen, zum Teil durch Vorstandsarbeit. Er konnte offensichtlich ein ausgeprägt deutsch­patriotisches Bewusstsein mit hoher Wertschätzung jüdischer Identität und Tradition verbinden.(1)

Bereits 1911 weist das Hildesheimer Adressbuch Dr. Leopold Cohn in der Bergstraße nach. Wegen angeblicher „sittlicher Verfehlung” wurde Cohn 1938 nach Denunziation durch eine Patientin angeklagt und. kam ins Godehardi-­Gefängnis. Seine Ehefrau vergiftete sich daraufhin. Im Prozess erwies sich dann Cohns Unschuld.(2)

Vermutlich 1939 wurde Dr. Cohn deportiert und starb nach unbestätigten Quellen 1941 im Konzentrationslager.(3) Eine andere Quelle(2) berichtet, er sei nach Südamerika entkommen.

Das Archiv des Vereins Kultur und Geschichte vom Berge enthält ein Dokument, das die gesellschaftliche Ächtung Dr. Cohns und seinen Umgang damit deutlich illustriert. Dr. Cohn schreibt am 1. Mai 1937 an den Vorstand des Moritzberger Männergesangvereins:

Sehr geehrte Herren!

Nachdem ich erfahren habe, daß für Ihren Verein der Arierparagraph maßgebend ist, erkläre ich meinen Austritt aus dem Verein. Sollten Beiträge nach dem Zeitpunkt der Einführung des Arierparagraphen unberechtigt von mir erhoben sein, so bin ich bereit, dieselben zu einem von mir zu bestimmendem wohltätigem Zwecke zurückzunehmen.

Hochachtungsvoll

Dr. Cohn

Die Antwort erfolgt am 4. Mai 1937:

Hierdurch teile ich Ihnen mit, daß mein Vorgänger Sie schon ab 1. Januar 1937 in den Mitgliedsbüchern hat streichen lassen. Scheinbar sind Sie davon nicht unterrichtet worden. Da ich für eine frühere Mitgliedschaft nicht verantwortlich zeichne, ist der Fall für mich hiermit erledigt.

Der Vereinsführer …


1) Schneider, Jörg: Die jüdische Gemeinde in Hildesheim von 1871 – 1942, Dissertation Göttingen 1998, Kapitel 9, S. 50/51

2) Heutger, Nicolaus: Jüdische Spuren in Niedersachsen, Münster 1997, S. 93

3) Verfolgung der jüdischen Bürger/innen Hildesheims, Hildesheim 1988, S. 59, Hrsg. VVN-­Bund der Antifaschisten

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