Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 181 · Februar 2008
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Dr. Cohns Praxisschild (1936)

Ezio De Lorenzo, Jahrgang 1923, erzählt im März 1997:


Der einzige Jude, den ich auf dem Moritzberg kannte, war Dr. Cohn. 1936 kam ich mit meiner Kopfverletzung zu ihm. Ich war mit Schwung in eine Korridortürscheibe reingefallen – die war aus Glas. Und da habe ich den Cohn kennengelernt und war bei ihm in Behandlung. Cohn war seinerzeit unser Hausarzt, die ganzen Jahre. Weiter hatte ich mit ihm nichts zu tun. Aber mein ältester Bruder hatte Rippenfellentzündung, den hat er versorgt und meinen Vater und auch meine Mutter.

Ich war 13 Jahre, als das passierte. Zu Hause hatte mein Kopf stark geblutet, mein Vater brachte mich gleich zu Doktor Cohn und der hat die Wunde dann genäht bzw. geklammert. Ich weiß noch, dass vorne links an der Haustür das Schild war, ’Dr. Cohn’, schön, mit Messingbuchstaben, es glänzte. Und ich war in der ersten Etage und er behandelte mich. Ich bekam einen Kopfverband wie ein Mohammedaner.

Dr. Cohn war groß, er hatte zwar ein Bein, was er immer nachzog, aber er war ein großer, kräftiger Mann, eine stattliche Figur. Ich habe nichts Negatives gehört von ihm, im Gegenteil, er hat mich persönlich gut behandelt. Als der Verband fertig war, bekam ich eine Tafel Schokolade.

Die Stelle an der Hauswand, wo das Praxisschild war, ist heute noch zu sehen. Es war etwa 40 mal 50 oder 50 mal 40 groß, ein blanker Untergrund mit Messingbuchstaben: Dr. Cohn, Sprechzeit usw., eine erhabene Schrift, keine gemalte, es war eine gesetzte Schrift. Die Buchstaben waren in Messing. Und die hat man nach zwei Tagen – ich kann mich noch genau an die Zeit erinnern, weil ich ja gerade die Kopfverwundung hatte – dort weggeschlagen. Ich war dreizehn Jahre und man hat dies Schild dort weggeschlagen.

Man holte Cohn erst später weg, aber er hat ab ’36 keine Praxis mehr gehabt. Er führte sie zwar noch aus, aber nicht mehr offiziell. Er hatte nur noch Privatkundschaft. Er kam auch noch zu uns ins Haus und versorgte uns, aber er ging nicht mehr vorne durchs Geschäft, sondern hinten über den Hof. Man duldete ihn, weil er Offizier war. Er war im Kriege 14/18 gewesen und war Kriegsversehrter. 1936 schonte man ihn zwar noch ein bisschen, aber 1938 dann nicht mehr.

Es war Spätsommer, August, September, die Schulzeit hatte wieder angefangen. Er hatte gerade sein Schild, ’Dr. Cohn’, angebracht, und das hat man ihm radikal weggeschlagen. Es hat keinen Streit darum gegeben, nichts. Dr. Cohn hat auch nichts mehr daran gemacht, er hat es weggelassen.

Das Schild war sehr neu, es war praktisch noch nicht mal drei Tage alt, ich weiß es so genau, weil ich fast täglich zu ihm musste zum Neuverbinden. Und mit einmal sah ich diesen Namen weggeschlagen. Ich sagte mir: ’Was für ein Frevel’. Es war eine helle Platte als Untergrund, und auf dieser Platte – es mag vielleicht eine Marmorplatte gewesen sein – und auf dieser Marmorplatte waren Messingbuchstaben gesteckt, aufgesetzt – eine teure, eine qualitativ gute Tafel. Sie leuchtete so ähnlich wie Gold und ich hab’ erst gedacht, es wäre Gold – also war es Messing. Ich habe mich früh für diese Sachen interessiert, denn ich hatte immer die Idee, Dekorationsmaler zu werden. Ich wusste, man musste nicht nur Schrift schreiben, man konnte auch Schrift, Blockschrift, Buchstaben aufsetzen.

Für mich ist dies eine Erinnerung genau so deutlich wie an die Schrift am Katholischen Gesellenhaus im Pfaffenstieg, das wir gerettet haben – trotz der nationalsozialistischen Zeit.

Quelle: unveröffentl. Interviewprotokoll, Moritzberg Verlag
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