In Erinnerung an Dr. Topp
(sbr) Anfang November 2010 wurde am Altenheim Magdalenenhof in der Mühlenstraße eine Gedenktafel angebracht. Sie erinnert an Menschen, die in der Nazizeit unter ungeklärten Umständen im Michaeliskloster oder im Magdalenenkloster starben. Beide Klosteranlagen gehörten zusammen mit dem Sültekloster bis 1945 zur (Nerven-)Heil- und Pflegeanstalt der Provinz Hannover.
Wer hier zwangseingewiesen wurde, war unter Umständen schon vorher inhaftiert gewesen – aus politischen oder religiösen Gründen zum Beispiel.
Einer dieser Zwangspatienten war Dr. Max Topp, Moritzberger Arzt aus der Königstraße. Topp hatte bis 1939 seine Praxis in der Goslarschen Straße, dann zog er zum Berge in das Haus Königstraße 7. 1944 wurde er von einer Patientin denunziert. Er hatte über die Benzinrationierung geschimpft, ungefähr mit den Worten: „Wie soll ich mit 20 Liter Benzin kranke Patienten versorgen?“ Das reichte damals für eine Verhaftung.
Dr. Topp kam ins Godehardigefängnis; nach wenigen Tagen, vermutlich Mitte November 1944, wurde er von dort ins Michaeliskloster gebracht. Im Januar 1945 war er tot – in der Anstalt gestorben. Sein Todesdatum wie die Umstände seines Todes sind nicht wirklich belegt. Kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag wurde Dr. Topp in Sottrum begraben. Seine Praxis wurde von seinem späteren Schwiegersohn Hans Diesing übernommen und viele Jahrzehnte lang weitergeführt.
Moritz vom Berge veröffentlichte im März 2008 diese wenigen Angaben über Dr. Topps Tod. Ezio de Lorenzo aus der Eis-Onki-Familie hatte die Redaktion darauf aufmerksam gemacht. Die Hildesheimer Berthold-Mehm-Stiftung griff die schlimme Geschichte auf, stellte den Kontakt zu Topps Enkel H. E. Diesing her und verhandelte mit der Caritas über die Platzierung einer Gedenktafel am Magdalenenhof. Die Tafel wurde, wie schon andere von der Stiftung in Auftrag gegebene, von Ingo Webeler in Alfeld gestaltet, sie erinnert an alle Opfer der Hildesheimer Heil- und Pflegeanstalt im Nationalsozialismus. Neben Dr. Topp ist ein zweiter Zwangseingewiesener namentlich genannt: Gustav Haase, Bauarbeiter aus Goslar, in Hildesheim zeitweise bei der Firma Gentemann beschäftigt. Er wurde aus religiösen Gründen inhaftiert – er war Bibelforscher – und starb wie Dr. Topp unter ungeklärten Umständen im Michaeliskloster, unter dessen Namen auch die Abteilungen im Magdalenenkloster geführt wurden.
Die Berthold-Mehm-Stiftung hat zum Ziel, an die Opfer des Nationalsozialismus und des SED-Regimes in der DDR zu erinnern. Sie wurde 2005 von Berthold Mehm zu Ehren seines gleichnamigen Großvaters Berthold Mehm gegründet. Mehm der Ältere, 1874 in Langenbach bei Suhl (Thüringen) geboren, war einer der Baumeister der Hildesheimer Nordstadt. Nachdem er Bibelforscher (Zeuge Jehovas) geworden war, wurde er schon 1936 inhaftiert. 1939, mit 65 Jahren, wurde er im Konzentrationslager Sachsenhausen erschossen, nachdem er den Hitlergruß verweigert hatte.
Enkel Berthold Mehm hat in den letzten Jahren mehrere Hefte mit den Lebensgeschichten von (fast) vergessenen Hildesheimer Opfern der NS-Herrschaft herausgebracht. Hulda Franz, Laubmann Weiß, Erwin Wehmeyer sind Namen von Menschen, die er ebenso bekannt gemacht hat wie den „Baumeister mit dem lila Winkel“, seinen Großvater. Gedenktafeln hat die Berthold-Mehm-Stiftung bereits in Langenbach, in Wolfenbüttel (für Franz Sdyn), in der Gedenkstätte Neuengamme (für Erwin Wehmeyer) und in der Hildesheimer Nordstadt für Max und Elise Darmstädter anbringen lassen.
Dr. Topps Enkel und dessen Frau nahmen sichtlich bewegt an der Enthüllung der Gedenktafel am Magdalenenhof teil: „Nach so langer Zeit“, stellte man voll Verwunderung fest, „wird die Geschichte öffentlich!“ Dr. Topps Frau war durch die Ereignisse im Winter 1944/45 so verletzt gewesen, dass sie kaum darüber sprechen konnte. Die Familie schwieg über das Verbrechen – darunter litten auch die folgenden Generationen.
Berthold Mehm wird weitere Gedenkzeichen für kaum bekannte Opfer setzen. Am 14. März 2011 lässt seine Stiftung drei Gedenksteine auf dem Neustädter Markt durch Gunter Demnig verlegen: Ein „Stolperstein“ ist für Hulda Franz alias Hilda Stolte, das Sintimädchen, das mit 12 Jahren aus ihrer Pflegefamilie geholt und nach Auschwitz verschleppt wurde. Zwei Steine werden an die Bibelforscher Auguste und Georg Wehmeyer erinnern, die am Neustädter Markt gewohnt haben. Die Gedenkveranstaltung am 14. März 2011 beginnt um 11.30 Uhr im St. Lamberti-Gemeindehaus.
Für Moritz vom Berge hatte die Veröffentlichung über Dr. Topp im März 2008 noch ein weiteres Nachspiel. Im Herbst 2008 besuchte ein älterer Herr die Redaktion, der zur Zeit der Inhaftierung von Dr. Topp ein dreizehnjähriger Jugendlicher war – hellwach und neugierig. Er berichtete, was er vom Hörensagen wusste, worüber er damals Oma und Mutter reden hörte: Eine Frau Schreier aus dem Bergsteinweg habe Dr. Topp denunziert, davon sprach man damals auf dem Berge. Nach dem Krieg habe sie, vermutlich wegen der Denunziation, eine Haftstrafe verbüßt. Die junge Frau war in der NS-Frauenschaft und „lief oft mit der Sammelbüchse herum“.
Die NS-Frauenschaft hatte in der Dingworthstraße 36 einen Raum: Von der Straße aus die Treppe hoch ging es rechts in diesen Raum, links in die Poststelle. Der Zeitzeuge erinnert sich: „Ich sehe die Frau noch vor mir in der blau-grauen Uniform der NS-Frauenschaft – mit der Sammelbüchse fürs Winterhilfswerk. Die Frau war sehr unbeliebt auf dem Moritzberg; wir mochten sie alle nicht. ... Aber man sagte aus Rücksicht auf die Familie nicht offen die Meinung, man hielt sich zurück.“
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