Stadtteilzeitung Hildesheim West
Nr. 242 · Oktober 2013
Das Trillke-Gut als Klinik
Strahlenschäden nach Tbc-Behandlung
(sbr) Im Deutschen Ärzteblatt vom 19. August 2013 war kürzlich ein Bericht über die langjährige Untersuchung von Behandlungsmethoden im Hildesheimer Trillke-Gut zu lesen. Nach der Nutzung als Wehrmachts-Lazarett hatte die Klinik Trillke-Gut sich auf eine Folge des Flüchtlingselends und des Hungers der Nachkriegsjahre spezialisiert: auf die weite Verbreitung der Tuberkulose. Antibiotika-Behandlungen standen damals noch nicht zur Verfügung. Ende der 1940er Jahre wurde im Trillke-Gut das neue Medikament Peteosthor mit dem radioaktiven Alphastrahler Radium-224 eingesetzt, um Lungen-, Gelenk- und Knochentuberkulose sowie die „Bechterew'sche Krankheit“ zu behandeln.
Von 1948 bis 1958 war das Trillke-Gut Lungenklinik und Sanatorium
Heinz Spiess bekam 1948 als Assistent an der Universitätskinderklinik Göttingen den Auftrag, das noch nicht erforschte neue Mittel zu prüfen. Seine experimentellen Untersuchungen führten 1950 dazu, dass Kinder und Jugendliche mit dem radioaktiven Stoff nicht mehr behandelt wurden. Bis 2011, über 60 Jahre lang, setzte Prof. Dr. Heinz Spiess, heute an der Kinderklinik der Universität München tätig, seine Langzeitstudie an damals behandelten Patienten fort. Im Deutschen Ärzteblatt fasst er die schlimmen Ergebnisse zusammen.
Ins Trillke-Gut hatte der erste Chefarzt nach der Übernahme durch die Landesversicherungsanstalt Braunschweig, Dr. Paul Troch, das von ihm entwickelte neue Mittel mitgebracht. „Mit Atomenergie gegen Tbc“, verkündete die Presse damals enthusiastisch. Peteosthor wurde per Spritze verabreicht. 200 Betten, 60 davon für Kinder und Jugendliche, wurden für diese Behandlung im Trillke-Gut zur Verfügung gestellt.
Heinz Spiess stellte 1948/49 zunächst durch Versuche „in vitro“ – im Reagenzglas – dann an Kaninchen fest, dass eine Wirkung des Medikaments auf Tuberkel-Bakterien nicht nachzuweisen war. Die Knochenwachstumszonen der jungen Kaninchen reicherten sich aber durch das „knochensuchende“ Radium-224 sehr schnell stark radioaktiv an, das Mittel führte zu Zellschäden und Wachstumshemmung. Nachdem es aufgrund von Spiess' Warnung für Kinder und Jugendliche nicht mehr zugelassen war, wurden Erwachsene damit noch bis in die 1960er Jahre bestrahlt.
Spiess führte regelmäßige Folgeuntersuchungen der Patienten durch, die er finden konnte. 1955 waren von 49 Kindern, die Peteosthor erhalten hatten, bereits elf an Krebsgeschwulsten, meist Knochensarkomen, erkrankt und neun von diesen gestorben. Bei den meisten Kindern wurden Wachstumsstörungen festgestellt.
Die Langzeitstudie an insgesamt 899 ehemaligen Patienten brachte weitere erschreckende Erkenntnisse auch für die damals schon erwachsenen Patienten: Krebserkrankungen, vor allem Knochenkrebs, traten sehr viel häufiger auf als in nicht mit Radium-224 behandelten Vergleichsgruppen, die höhere Anfälligkeit war erst nach etwa 60 Jahren nicht mehr gegeben. Auch verschiedene organische Erkrankungen von Lungen, Herz, Nieren, Leber scheinen Spätfolgen der Behandlung zu sein. 1973 wurden in Untersuchungen an einigen Patienten Chromosomveränderungen festgestellt, die später auch nach der Strahlenbelastung in Tschernobyl festgestellt wurden.
Heinz Spiess betont zum Abschluss seiner Studie, dass Kinder empfindlicher auf ionisierende Strahlen reagieren als Erwachsene. Sorgfältig sollte deshalb jede Belastung, auch durch geringere Bestrahlungen, zum Beispiel bei einem Röntgenbild, abgewogen werden. Der Forscher warnt: „Kinder sind eben nicht nur kleine Erwachsene!“

Postkarte: Privatbesitz
Ins Trillke-Gut hatte der erste Chefarzt nach der Übernahme durch die Landesversicherungsanstalt Braunschweig, Dr. Paul Troch, das von ihm entwickelte neue Mittel mitgebracht. „Mit Atomenergie gegen Tbc“, verkündete die Presse damals enthusiastisch. Peteosthor wurde per Spritze verabreicht. 200 Betten, 60 davon für Kinder und Jugendliche, wurden für diese Behandlung im Trillke-Gut zur Verfügung gestellt.
Heinz Spiess stellte 1948/49 zunächst durch Versuche „in vitro“ – im Reagenzglas – dann an Kaninchen fest, dass eine Wirkung des Medikaments auf Tuberkel-Bakterien nicht nachzuweisen war. Die Knochenwachstumszonen der jungen Kaninchen reicherten sich aber durch das „knochensuchende“ Radium-224 sehr schnell stark radioaktiv an, das Mittel führte zu Zellschäden und Wachstumshemmung. Nachdem es aufgrund von Spiess' Warnung für Kinder und Jugendliche nicht mehr zugelassen war, wurden Erwachsene damit noch bis in die 1960er Jahre bestrahlt.
Spiess führte regelmäßige Folgeuntersuchungen der Patienten durch, die er finden konnte. 1955 waren von 49 Kindern, die Peteosthor erhalten hatten, bereits elf an Krebsgeschwulsten, meist Knochensarkomen, erkrankt und neun von diesen gestorben. Bei den meisten Kindern wurden Wachstumsstörungen festgestellt.
Die Langzeitstudie an insgesamt 899 ehemaligen Patienten brachte weitere erschreckende Erkenntnisse auch für die damals schon erwachsenen Patienten: Krebserkrankungen, vor allem Knochenkrebs, traten sehr viel häufiger auf als in nicht mit Radium-224 behandelten Vergleichsgruppen, die höhere Anfälligkeit war erst nach etwa 60 Jahren nicht mehr gegeben. Auch verschiedene organische Erkrankungen von Lungen, Herz, Nieren, Leber scheinen Spätfolgen der Behandlung zu sein. 1973 wurden in Untersuchungen an einigen Patienten Chromosomveränderungen festgestellt, die später auch nach der Strahlenbelastung in Tschernobyl festgestellt wurden.
Heinz Spiess betont zum Abschluss seiner Studie, dass Kinder empfindlicher auf ionisierende Strahlen reagieren als Erwachsene. Sorgfältig sollte deshalb jede Belastung, auch durch geringere Bestrahlungen, zum Beispiel bei einem Röntgenbild, abgewogen werden. Der Forscher warnt: „Kinder sind eben nicht nur kleine Erwachsene!“